Was gibt mir Sicherheit? Was verunsichert mich, was erlebe ich als sicher? Wer kann mir Sicherheit geben? Wo suche ich und wo finde ich sie? Was passiert, wenn Sicherheiten zerbrechen? Das Thema der Sicherheit wirft mehr Fragen als Antworten auf. Für diese Fragen kann diakonisches Arbeiten bestimmt nicht die eine, aber eben eine haltgebende Antwort sein.

In Krisenzeiten nimmt die Unsicherheit sichtbar zu. Daneben kann das Arbeiten an dem, was Sicherheit und Halt gibt, wachsen. Ein Plädoyer gegen Architektur und für Wurzeln.

Zur Person und zum Dienstbeginn

Ich heiße Tilo Schmidt, Pastor im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. Seit Januar 2022 arbeite ich als Pastor im Diakoniewerk. Vorher war ich im Gemeindedienst und im Gemeindejugendwerk in Baden-Württemberg tätig. Zu meiner Stelle gehören zwei Arbeitsschwerpunkte. In Springe im Diakoniezentrum bin ich Ansprechperson für Bewohnende und Interessierte im Service Wohnen, welche Springe als ihren Wohnort für das Altwerden wählen. Mir ist es wichtig, den Bewohnenden und Mitarbeitenden mit einem offenen Ohr und guter Kommunikation zur Seite zu stehen, sowie ihnen geistliche Impulse zu geben. Mein zweiter Schwerpunkt ist Pastor im Diakoniewerk. Gemeinsam mit den einzelnen Einrichtungen, ihren Leitungen und ihren Teams möchte ich an diakonischen, theologischen und ethischen Fragen und Entwicklungen arbeiten. Dabei arbeite ich eng mit dem Vorstand zusammen.

Schaue ich auf die ersten Wochen meines Dienstes, denke ich besonders an die vielen Engagierten. Hauptamtliche, Teilzeitangestellte, Beterinnen und Beter, Ehrenamtliche, Geldgebende, Tüftler, Verwalterinnen… sie alle bewegen viel. Viel Sichtbares und viel Großes im Unscheinbaren und Unsichtbaren. Mein Respekt und meine Bewunderung für die vielen Menschen und Bemühungen wachsen weiter.

Suche nach Sicherheit

Die Fragen nach Sicherheit prägen auch das Arbeiten und den Alltag im Diakoniewerk. Da sucht jemand persönlich Hilfe in der Beratung, um mit einer gewissen Grundsicherheit durch die Herausforderungen des Alters zu gehen. Eine Familie braucht eine sichere Begleitung mit Jugendlichen. Ein älteres Ehepaar sucht einen Ort zum Altwerden in einer Umgebung, in welcher Hilfe zugesichert wird. Eine Einrichtungsleitung arbeitet daran, wie mit wenig Pflegekräften die Pflegearbeit sicher aufrechterhalten werden kann. Im diakonischen Arbeiten werden Menschen zu sicherheitsschenkenden Begleiterinnen und Begleitern.

In einem Nachrichtenartikel sprach jemand über die Folgen des fürchterlichen Krieges in der Ukraine. Eine These war, dass die bisherige Sicherheitsarchitektur in Europa ins Wanken geraten oder vielleicht völlig zerstört sei. Das Wort Sicherheitsarchitektur machte mich nachdenklich. Ist Sicherheit wie ein statisch tragender Bau? Wenn eine Säule einbricht, fällt das gesamte Gebäude krachend zusammen?

Wieder ein Blick ins Persönliche. Wo sind mir in meinem Leben Sicherheitsfragen begegnet? Ich erinnere mich, dass ich als Kind einen Fahrradunfall hatte. Danach war klar, dass ich zur Sicherheit auch auf den kürzesten Wegen eine Fahrradhelm tragen würde. Als Jugendlicher erinnere ich mich, dass ich in unserer Familie immer mal wieder Unsicherheit erlebte, weil nicht viel Geld da war. Ich habe gelernt, dass Sparen wichtig ist, um sicher durch den Alltag zu kommen. Meine ersten Eindrücke von der Arbeitswelt waren ebenfalls davon geprägt – nach Sicherheit zu fragen: Such dir einen Job oder einen Nebenjob, um deinen Lebensunterhalt zu sichern und verhindere immer das Schlimmste: arbeitslos zu werden! In Zerbruchsituationen in Familie und Partnerschaft habe ich mich selbst gefragt – was ist noch sicher, wenn wichtige Vertrauensbeziehungen auseinanderbrechen? Und ein Thema der letzten Jahre: Immer wieder habe ich mich gefragt, wie ich mir selbst meiner sicher sein kann. Im Aufwachsen habe ich zwar gelernt, Sicherheit zu bedenken und zu begründen. Aber mir selbst zu trauen, auch den Bauchgefühlen, die nicht sofort mit Argumenten zu belegen sind – das stellte mich vor eine neue Herausforderung.

Haltgebende Wurzeln

Was eint mein persönliches Erleben und die Sicherheitsfragen unserer Gesellschaft? – Sicherheit ist ein sperriger und abstrakter Begriff, geht es doch um etwas ganz Emotionales. Wer in seinen Erfahrungen stöbert, dem fallen vermutlich
als erstes Gefühle und Geschichten ein: Wie war das, als meine Sicherheit wankte? Wie werde ich ruhig, wenn Gefühle der Sicherheit wachsen? Wie fühlt sich diese pulsierende Angst der Unsicherheit an?

In verunsichernden Zeiten möchte ich daher nicht allein nach der einen Sicherheit fragen. Vielmehr möchte ich schauen, an was sich mein Vertrauen festmachen kann. Wie kann ich Halt finden in der Hoffnung auf einen liebenden Gott? Wie kann ich mir selbst sicher sein – mir selbst trauen und ebenso die Grenzen meines Selbstvertrauens kennen? Wie kann mein Vertrauen in meine Mitmenschen und unsere Gesellschaft wachsen, auch mit Enttäuschungen?

Mich überzeugt das Bild der Sicherheitsarchitektur nicht. Weniger statisch und näher am Leben ist das Bild von Wurzeln. Wurzeln, welche Halt geben. Mit diesen Wurzeln: einem sicheren Umfeld, einem wachen Bauchgefühl, einem gesunden Achten auf die Mitmenschen – kann Vertrauen wachsen und mir Sicherheit geben.

So verstehe ich auch das Gottvertrauen, welches so viele Bibeltexte durchzieht (z.B. Sprüche 3,5f.). Wenn ich Gott vertraue, kann ich trotzdem noch verunsichert werden. Aber ich setze vor allen meinen (vielleicht vermeintlichen)
Sicherheiten etwas anderes: Vertrauen. Wenn Sicherheiten brechen, vertraue ich auf Gottes Halten. Er hält mich in sicheren und unsicheren Situationen. Mit dem Vertrauen auf ihn kann ich gesunde Sicherheiten finden und verunsichernde
Verletzungen überwinden.

Somit kann alles Arbeiten an Vertrauen – an guter Spiritualität, an gesunden Beziehungen und an persönlichen Schutzräumen – Vertrauen und damit auch Sicherheit(en) wachsen lassen. Darin kann diakonisches Arbeiten ein heilsamer und haltgebender Begleiter in unsicheren Zeiten sein: Hier geben wir Menschen Räume und Hilfe, in denen sie in ihrer jeweiligen Lebenssituation Halt und Vertrauen finden und erleben können. So können wir mit diakonischem Handeln Menschen helfen, Wurzeln zu schlagen, auch für stürmische Ereignisse.

Tilo Schmidt, Pastor im Diakoniewerk und Koordinator Service-Wohnen auf dem Campus des Diakoniezentrums Springe